Von Yakbuttertee, Schneebergen und Staublawinen

Di, 29.01.2013 – Wandern gehen in Dimaluo – das wollten wir schon, seit wir zum ersten Mal Fuß in dieses schmale, wunderschöne Nebental des „großen Nujiangtals“ (怒江大峡谷) setzten. Jetzt haben Franzi und ich ein paar unserer Ferientage genutzt, um genau das zu tun und nebenbei für das Kleiderprojekt nach bedürftigen Familien zu suchen.

Am Freitagabend rief ich also Aluo an, das ist ein tibetischer Bergführer, der ein Gästehaus in Dimaluo besitzt und dessen Nummer wir von Julian hatten. Er organisiert geführte Wandertouren über die Berge in Richtung Deqin, war schon einmal mit Travis (Petes Sohn) raften, kennt jede Menge Ausländer, hat ein Müllentsorgungsprojekt in Dimaluo gestartet, bis ihn die Regierung stoppte, steht sogar im Lonely Planet – wir waren also mehr als gespannt darauf, ihn kennenzulernen. Er bestätigte uns, dass wir in seinem Gästehaus schlafen könnten, also packten Franzi und ich unsere Rucksäcke und machten uns am Samstagmorgen auf den Weg.

Da gerade der 丙中洛(Bingzhongluo) – Bus an uns vorbeifuhr, winkten wir und ließen uns von ihm auf der großen Straße bis zur Mündung des Dimaluoflusses in den Nujiang mitnehmen. Von da ging’s dann zu Fuß weiter, immer an der holprigen „Straße“ entlang. Unterwegs wurden wir von ziemlich vielen Autos überholt, die uns eine Mitfahrgelegenheit anboten, und ein paar Polizisten fragten uns, wo wir denn hinwollten. „Nach Dimaluo!“ „Wohin?“ „Nach Dimaluo!“ „Nach Bingzhongluo?“ „Nein, nach Dimaluo!“ Ja gut, Dimaluo ist längst nicht so touristisch wie Bingzhongluo, aber man darf doch wohl trotzdem noch da hinlaufen wollen… Nach etwa drei Stunden kamen wir zu dem Stausee vor Dimaluo und bald darauf in das Dörfchen. Da wir keine Ahnung hatten, wo Aluo wohnte, liefen wir erstmal durch die Straßen und Leuten in Minderheitentrachten hinterher, die alle in eine Richtung zu strömen schienen. Dann kletterten wir auf einen Hang und machten erstmal Mittagspause, aßen unser mitgebrachtes Baba (tibetisches Fladenbrot) und Bananen und beobachteten die Menschen unter uns, die sich in Richtung Kirche bewegten. Da Aluo von einer Feier erzählt hatte, vermuteten wir sie und ihn dort und machten uns auch auf den Weg dorthin. Unterwegs trafen wir ein Mädchen in tibetischer Tracht, die sich bei näherem Hinsehen als eine meiner Schülerinnen (und zwar nicht irgendeine, sondern die Klassensprecherin einer fünften Klasse, die mir mal angeboten hat, nervige Schüler für mich zu hauen, die wir schon öfters in der Kirche getroffen haben und deren Namen ich sogar kenne!) entpuppte. Sie erzählte uns, dass ein Onkel von ihr heute heiratete und lud uns ein, zu dem Fest zu gehen. Eine Hochzeit! Nun gut, bei der Heiratswut der Leute hier hätten wir uns das eigentlich denken können… am Eingang wurden wir gleich jeder mit einem Becher Maisschnaps begrüßt – gut, dass wir schon gegessen hatten. Drinnen dann die nächste Überraschung – da stand doch der große Bruder von Claire, der Feuerwehrhauptmann! Er erzählte uns, dass er ein Freund des Bräutigams war und dass Claire auch mitgekommen wäre, wenn es ihr nicht schlecht gegangen wäre. Auch Aluo kam vorbei, begrüßte uns und erzählte, dass dies eine traditionelle tibetische Hochzeit sei und wir einfach nach Lust und Laune mitfeiern, mitessen und mittanzen sollten. Das taten wir dann auch und ich muss sagen, dass so eine tibetische Hochzeit schon etwas ziemlich Lustiges ist. Zum Teil war es so wie auf den anderen Hochzeiten – Helfer liefen herum und verteilten Hühnerschnaps, Reisschnaps, Maisschnaps, Tee und Sonnenblumenkerne, es gab jede Menge sehr leckeres Essen, ein Feuerwerk, und Braut und Bräutigam wurden ordentlich abgefüllt, manches war jedoch anders: So liefen außerordentlich viele Leute in den schönsten tibetischen Trachten herum, auch das Brautpaar trug Tracht (was gerade der Braut einen großer Vorteil gegenüber einer Grundschullehrerin verschaffte, die bei ihrer Hochzeit ein höchst merkwürdiges faschingskostümartiges Etwas getragen hatte), abends gab es einen Gottesdienst und anschließend wurde in einem großen Kreis getanzt und die Tanzmusik dabei selbst gesungen. Wow!

Hier wurde gefeiert - im Hintergrund die katholische Kirche

Hier wurde gefeiert – im Hintergrund die katholische Kirche

 

Innenansicht der Kirche in Dimaluo

Innenansicht der Kirche in Dimaluo

Der abendliche Tanzkreis

Abends wurde in einem riesigen Kreis tibetisch getanzt – zu Livemusik – selbst gesungen!

Irgendwann wurden wir beide dann aber recht müde und hielten Ausschau nach Aluo, fanden ihn aber nirgends. Als wir gerade anfingen uns Sorgen darüber zu machen, wo wir die Nacht verbringen könnten, fragten uns auch schon einige Frauen, ob wir denn einen Platz zum Schlafen hatten. Wir berichteten von unserem Problem und sofort liefen welche los um Aluo zu suchen, bald darauf kam dann sein Sohn herein und meinte, er würde uns zum Haus bringen. Wir folgten ihm also zum Dorf zurück (die Kirche ist etwas außerhalb), kletterten über eine Baustelle und fanden dahinter ein hübsches Holzhaus, in dessen ersten Stock unser Zimmer lag. Hier waren zwei dünne, weiß bezogene Matratzen auf dem Holzfußboden ausgebreitet, darauf lagen jeweils zwei Decken und ein Kopfkissen – schlicht aber mehr als ausreichend für uns – todmüde kuschelten wir uns in die Decken und schliefen sofort ein.

Der Eingang zu Aluos Gästehaus

Der Eingang zu Aluos Gästehaus – von alleine hätten wir den nicht gefunden!

Unser Zimmer

Unser Zimmer

Am nächsten Morgen wachte ich von einer Frage in meinem Kopf auf: Wo ist denn hier die Toilette? Nach einigem Suchen fand ich sie in einem extra Häuschen hinter dem Haus, vor dem es dann einen Wasserhahn zum Zähneputzen, Waschen und Toilettenspülen gab (man kippte dann einfach eine Schüssel Wasser hinterher). Von der Terasse eines anderen Gebäudes stieg Rauch auf, der einer Feuerstelle entsprang, auf der gerade Tee gekocht wurde. Drumherum saßen zwei andere Gäste, Aluos Frau und seine Mutter, die uns beide sofort heranwinkten. Also wärmten wir uns erstmal etwas am Feuer, während es aus dem Raum dahinter, der Küche, bereits vielversprechend brutzelte und tatsächlich gab es bald Frühstück: Yakbuttertee, frische frittierte Teigecken und heißes Baba. Yummy! Während die Teigecken an Croissants und das Baba an Fladenbrot erinnert, ist Yakbuttertee nun wirklich nicht etwas, was man bei uns bekommen könnte, aber wenn man sich einmal an den Geschmack: salzig, etwas nach Käse, etwas nach Milch, gewöhnt hat, ist er einfach nur genial! Außerdem wärmt er einen richtig schön durch. Nach einer Weile stießen auch Aluo und seine beiden Kinder zum Frühstück. Sein Sohn geht in die zehnte Klasse auf der Gongshan Yi Zhong (Helens und Franzis Schule) und seine Tochter in die siebte Klasse in Bingzhongluo. Alle redeten die ganze Zeit auf tibetisch, was lustig anzuhören war, auch wenn wir natürlich kein Wort verstanden. Nach dem Essen sprachen wir Aluo auf das Kleiderprojekt an und ob er ein bedürftiges Dorf kennt. Daraufhin schlug er uns vor, die Verteilung gemeinsam anzugehen: Denn es gibt durchaus arme Familien, die leben aber nicht alle auf einem Fleck, sondern in den verschiedenen Dörfern verteilt, daher ist es sinnvoll, die Leute an einem Tag zusammenzurufen und ihnen dann die Kleidung zu geben. Wir stimmten dem erfreut zu und ließen uns dann für den Tag eine schöne Wanderroute empfehlen.

Morgens am Feuer

Morgens am Feuer – hier kocht gerade der Yakbuttertee

Und schön war sie in der Tat! Erst ging es am Berghang entlang nach oben, dann kamen wir zu einem Dorf namens Alulaka, das über die Kuppe verstreut war. Dahinter war der Berg mit niedrigem Gestrüpp bewachsen, das den Blick auf herrliche Schneeberge in drei Himmelsrichtungen freigab.

Schneeberge!!

Schneeberge!!

Bergbewohner

Bergbewohner 😉

Smile!!

Smile!!

Blick auf den Nujiang

Blick auf den Nujiang

Und als wir nach unserer Mittagspause weiter über die Kuppe liefen, lag auf einmal unter uns ein leuchtend grünes Band – der Nujiang! Und weiter hinten konnten wir sogar schon die ersten Häuser von Bingzhongluo ausmachen! Außerdem fiel uns auf, wie freundlich uns alle Menschen, denen wir begegneten, anstrahlten, gerade die Kinder, aber auch ältere Leute. Da fühlt man sich einfach wohl 🙂
Abends waren Aluo und seine Frau nicht da, daher kochten die Kinder – ein Zehntklässler und eine Siebtklässlerin! Das Essen war sehr lecker und wir natürlich sehr beeindruckt. Danach kamen noch ein paar ältere Frauen vorbei und wir saßen gemeinsam im Fernsehzimmer um ein kleines Feuerchen herum. Als Aluo zurückkam, versammelte sich die Familie zum Gebet – eine halbe Stunde lang beteten sie gemeinsam. Eindrucksvoller lässt sich wohl kaum sehen, wie religiös die Menschen hier sind.
Am Montag wanderten Franzi und ich nach 白汉洛 – Baihanluo – ein Dorf etwa eine Stunde von Dimaluo auf dem Berg. Oben angekommen, fanden wir zu unserer Überraschung eine Kirche – und was für eine Kirche!! Leider war der Kirchhof abgeschlossen, sodass wir nur von außen das wunderschöne Gebäude mit dem reich verzierten, sehr bunten Tor und Turm bewundern konnten. Noch größer wurde unser Erstaunen aber, als wir nach Norden zu dem nächsten Dorf sahen und dort ebenfalls eine Kirche entdeckten! Und nach Süden… ragte da nicht auch ein Kirchturm empor? Was für eine Kirchendichte!

Der Kirchturm von Baihanluo

Der Kirchturm von Baihanluo – so etwas hätten wir in dem Bergdorf nicht erwartet!

Dass diese jedoch auch nötig ist, fanden wir heraus, als wir daraufhin zu dem nördlicheren Dorf laufen wollten. Das sah gar nicht so weit aus, irgendwann hielt uns jedoch eine Einheimische an und meinte, der Weg sei durch Steinschlag gesperrt. Schade! Also in die andere Richtung – und hier merkten wir sehr bald, dass die Strecke deutlich länger war, als man auf den ersten Blick gedacht hätte. Denn die Dörfer liegen auf zwei Bergvorsprüngen, dazwischen liegt jedoch ein tiefer Einschnitt, den zu umwandern keine Sache von wenigen Stunden ist. Wir gaben diesen Plan also auf und dachten uns – lass uns doch noch auf die Kuppe steigen, da hat man bestimmt einen schönen Ausblick! Hat man auch. Aber dafür kletterten wir eine Stunde lang einen staubigen Hang empor, auf sehr steilen Pfaden in der knallenden Sonne. Und auf dem Rückweg kamen wir uns vor wie in einer Murmelbahn, in der wir in einer großen Staublawine den Berg runterrollten.

Staubalarm!!

Staubalarm!!

Fast überraschte es uns, dass wir bei dem ganzen Staub, den wir geschluckt hatten, abends noch Hunger hatten, aber der Maiseintopf, den die Oma gekocht hatte, war wirklich sehr lecker. Vor allem zusammen mit Tofupaste oder grünen Pepperoni… vielleicht merkt man, dass sich unsere Geschmacksnerven dem Lokalkolorit anpassen 😉 Abends kamen noch einige chinesiche Touristen, denen bei unserem Anblick erstmal die Kinnlade herunterfiel… Nachdem sie sie wieder eingerenkt hatten, konnte man sich jedoch ziemlich gut mit ihnen unterhalten, der eine, ein Portugiesischstudent, konnte sogar gut Englisch sprechen. Zum Abschied tauschten wir E-Mail-Adressen und er meinte: „Your attitude towars life has inspired me very much.“ Ahja…
Am nächsten Morgen hieß es dann Tschüß sagen. „Kommt bald wieder!“ – diese Worte klangen wie Musik in unseren Ohren, als wir uns auf den Weg machten. Zwei Stunden später waren wir wieder an der großen Straße, machten Mittagspause und liefen dann noch eine Weile an der Straße entlang, bis uns der Bus einsammelte und nach Hause brachte. Hier machten wir uns dann gleich auf die Suche nach den Zutaten für den leckeren Yakbuttertee – die Yakbutter haben wir schon gefunden, sie schmeckt fast wir normale Butter und macht sich auch sehr gut auf Baba. Baba mit Honig und Butter – yummy!

Schön wars!

Schön wars!

4 Responses so far.

  1. Robert sagt:

    Dimaluo fand ich auch toll! Auch wenn ich keinen Schnaps hatte, nur Lagerfeuer.

  2. punguin sagt:

    Jetzt hab ich auch Lust zu wandern… Aber ich glaube, hier ist es kälter, als es bei euch aussieht.

  3. Lynn sagt:

    很充實的周末呀! 有豔陽與好山水,熱鬧的喜宴,熱情的居民,還有溫暖的被窩,再喝上一杯熱騰騰酥油茶!! 想必是天上人間! 🙂

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