Mit dem Gemüseauto nach Longyuan

Am Samstag, 15. Juni, frühstückten Helen und ich morgens rasch Baozi und eine Art Pancake, dann machten wir uns auf die Suche nach einem Auto, das uns in den Norden des Dulongtals, nach Longyuan (龙元), bringen würde. Dort wollten wir eine weitere der insgesamt drei Grundschulen des Dulongtals besuchen und Kontaktdaten sammeln, um eine Verteilung dort für den Herbst planen zu können. Franzi ging es nicht besonders gut, daher blieben Nadja und sie in Kongdang, die Liukuler wollten sich nach Süden aufmachen, zur dritten Schule und zum Mondwasserfall.

Helen und ich spazierten nun erstmal die Straße hoch und sahen uns die Autos an, allerdings sah kaum eines davon so aus, als könnte es uns an unser Ziel mitnehmen. Auf einmal sahen wir vor uns eine Gestalt, die uns irgendwie bekannt vorkam… war das nicht Aluo? Rasch schlossen wir auf und begrüßten ihn – er schien nicht weniger überrascht, uns zu sehen, als andersherum 😉 Das Lustigste: Helen hatte die Touristin, mit der er unterwegs war, in Fugong getroffen und ihr dort von Dimaluo und dem Dulongtal vorgeschwärmt, sowie von Aluo erzählt („Wie, du kennst Aluo?!“). Die beiden wollten auch Richtung Norden, allerdings hatten sie schon eine Mitfahrgelegenheit für nur zwei Leute. Also liefen wir nach einem kurzen Plausch weiter. Hmm… besonders viel schien es nicht zu geben… Am Ende der Straße drehten wir um und schlenderten zurück, vorbei an einem Minivan, der gerade mit Gemüse beladen wurde, suchend um uns schauend. Der Geländewagenfahrer, den wir  als Nächstes fragten, wollte leider in die andere Richtung, also liefen wir weiter, insgeheim uns fragend, ob denn überhaupt irgendetwas fahren würde. Da sahen wir vor uns, neben dem Schultor das Gemüseauto stehen und, da wir ja sonst nichts hatten, fragten wir einfach mal, wohin es denn gehen sollte. „龙元!“ war die Antwort. „Oh, da wollen wir ja auch hin!!“ Der Beifahrer musterte uns etwas kritisch: „Es sind nur zwei Plätze frei…“ „Wir sind genau zwei Leute!“ Kurzes Zögern, dann wurde die Tür aufgeschoben und wir kletterten über Blumenkohl und Wassermelonen auf die hinteren beiden Plätze.

Meine Sitznachbarn

Meine Sitznachbarn – links Helen, rechts Blumenkohl und Wassermelone

Und schon ging es los: Außer uns waren noch drei Personen im Auto, der Fahrer, der jüngere Beifahrer und hinter ihnen eine Frau. Wir ratterten zunächst über eine Brücke, dann eine kurvige Asphaltstraße entlang Richtung Norden. Nach einer Weile erreichten wir eine kleine Häuseransammlung mit einem Kiosk am Straßenrand. Der Fahrer hielt an, die Tür wurde geöffnet und die Frau rief hinaus „买菜!买菜!“ („Kauft Gemüse! Kauft Gemüse!“). Schon kamen ein paar Dorfbewohner heran, die drei stiegen aus, öffneten den Kofferraum, packten Waage und Taschenrechner aus und das Verkaufen fing an. Helen und ich sahen uns etwas verdutzt an, aber wir hatten ja Zeit. Außerdem kam jetzt der Fahrer heran und drückte uns ein paar Pfirsiche in die Hand: „Esst!“ Also knabberten wir Pfirsiche und genossen die leicht skurrile Szene vor und hinter uns. Als alle versorgt waren, wurde der Rest wieder eingepackt und weiter ging es. Der nächste Stop war bei einer Art Neubausiedlung, eine dieser Häuseransammlungen, die die chinesische Regierung mit Vorliebe überall hinstellt. Diesmal stiegen wir aus und schlenderten etwas durch die Gegend, während beim Auto eifrig gefeilscht wurde. In diesem gemütlichen Tempo ging es dann weiter: Hier wurde ein Fisch verkauft, da eine Wassermelone, Blumenkohl, Bohnen, Frühlingszwiebeln…

Gemüseverkauf aus dem Kofferraum

Gemüseverkauf aus dem Kofferraum

Eifriges Feilschen

Während die einen eifrig feilschen…

Spaziergang auf eine Brücke

… machen die anderen einen Spaziergang

Gegen zwölf erreichten wir den Ort Longyuan, die Grundschule war aber etwas außerhalb. Also fuhren wir noch ein Stück mit, bis wir am Fuß eines staubigen Hangs hielten. „Da oben ist die Schule!“ sagte die Frau uns und stieg mit uns aus. Der jüngere Mann und sie kletterten uns voran den schmalen Pfad hoch, dann durch ein Tor und schon standen wir im Schulhof. Die Schüler hatten gerade gegessen, zwei junge Lehrer und ein paar Frauen saßen mit ihnen im Schatten, sie standen auf, als sie uns sahen. Rasch wurden Hocker für uns geholt, Äpfel und etwas zu trinken. Wir stellten uns kurz vor und stellten ein paar Fragen zu der Schule, so fanden wir heraus, dass sie 63 Schüler hat, die die erste bis dritte Klasse besuchen. Dann schlug einer der Lehrer vor, dass wir doch mit den Schülern etwas singen könnten. Wir stimmten freudig zu und ließen uns von ein paar Schülerinnen in einen Klassenraum führen. Hier fingen wir dann an, die Kinder zu bespaßen: Wir sangen ihnen vor (und wünschten uns, wir hätten die Gitarre dabei), brachten ihnen „What’s your name? I’m…“ und das „Hello, Hello“-Lied (Melodie: Bruder Jakob) bei. Dann ließen wir uns etwas von ihnen vorsingen, zeigten ihnen „Head, Shoulders, Knees and Toes“… Zwischendurch kam die Gemüseautofrau vorbei und meinte, sie würden weiterfahren, uns aber nachmittags um vier wieder abholen und mit zurücknehmen. Irgendwann verlagerten wir die Kinderunterhaltung auf den Schulhof und spielten dort Plumpsack mit den Kleinen. Als es uns zu warm wurde, ging es wieder ins Klassenzimmer, wo wir dann beide von einer Traube Kinder umgeben waren: Helen ließ sich ein paar Worte Dulong beibringen, ich sprach meinen die Zahlen von eins bis fünf auf Englisch vor. Helen machte dabei eine etwas beunruhigende Entdeckung: Die Haare eines Mädchens waren voller Nissen. Nun fiel uns auch auf, wie viele der Kinder kurze Haare hatten… und wir versuchten, etwas mehr Abstand zu ihnen zu halten. Zuletzt setzten wir uns draußen in den Schatten und plauderten mit den Kindern. Dabei fand ich heraus, dass eine von ihnen eine große Schwester in meiner fünften Klasse hat.

Kindertraube

Helen mit einer Traube von Kindern

Faszinierendes Männchen

Faszinierend fanden sie auch das Männchen an meiner Tasche 😉

 

Um zwei schlug eines der Kinder die Schulglocke, alle strömten in die drei winzigen Klassenräume. Ein junger Lehrer kam zu uns und fragte, ob wir nicht eine Stunde halten wollten, also übernahmen wir die dritte Klasse. Hier übten wir wieder ein wenig Konversation, sangen, dann brachten wir ihnen die Zahlen 1-5 bei und spielten am Ende das „Good Morning – Good Night“-Spiel, von dem sie ziemlich begeistert waren. Danach hielten wir noch eine Stunde in der ersten Klasse, die ganz ähnlich ablief. Am Ende malte Helen noch eine Weltkarte an die Tafel (gar nicht so einfacht, aus dem Kopf eine pazifikzentrierte Karte zu zeichnen!) und wir zeigten ihnen, wo Deutschland und wo China liegt. Die Pause über waren wir dann beschäftigt, verschiedene Orte auf der Karte zu zeigen und zu beschriften.

In der dritten Klasse

In der dritten Klasse

Eifriges Mitschreiben

Eifriges Mitschreiben

Und die Erstklässler

Und die Erstklässler

Diese Kleine hatte sogar ein Englischbuch

Diese Kleine hatte sogar ein Englischbuch – woher auch immer

Auf einmal gongte es wieder und die Kids strömten hinaus, wo sie anfingen, auf dem Schulhof im Kreis zu joggen. Der junge Lehrer saß daneben, zusammen mit einer Schülerin, die eine Fußverletzung hatte. Wir gesellten uns zu ihnen und ich fing an, mich mit dem Lehrer zu unterhalten. So berichtete ich von uns, dem Baumhausprojekt und der geplanten Kleiderverteilung, er erzählte von der Situation an der Schule:

„Ich bin seit drei Jahren an dieser Schule. Anfangs war es recht hart, aber wenn man sich daran gewöhnt hat, kann man es gut aushalten. Die Gegend hier ist wirklich ziemlich abgelegen… Strom haben wir erst seit einem Jahr, Handyempfang gibt es hier nicht, dafür muss man fünf Kilometer Richtung Norden auf den Berg laufen. Für die Kinder hier ist das Leben schon ziemlich hart, manche von ihnen wohnen vierzig, fünfzig Kilometer weit weg. Wenn sie einmal im Monat eine Woche freihaben, kommen dann die Eltern und sie laufen die ganze Strecke zu Fuß nach Hause. Die Kleinen, die noch nicht so weit laufen können, werden getragen, die Hälfte der Strecke vom Vater, die andere von der Mutter. Bevor sie in die Schule kommen, sprechen die meisten kein Wort Mandarin, nur Dulong. Sie kommen ja auch nicht aus dem Dorf heraus, denn dazu müssten sie an Seilbrücken den Fluß überqueren, was für zu kleine Kinder unmöglich ist. Einige der Schüler hier haben Zahnbürsten, die teilen sie sich dann mit den anderen. Im Winter ist es besonders schwer auszuhalten, denn ab November schneit es auch im Tal und die wenigsten der Kinder besitzen warme Kleidung. Die besten unserer Schüler gehen nach der dritten Klasse nach Gongshan auf die Ci Kai Wan Xiao, so wie ihre Schwester hier… ein kluges Mädchen!“

 

Kurzes Ausruhen

Kurzes Ausruhen – rechts der junge Lehrer

Die süßen Kids

Egal, wo man sich hinsetzte, gleich war man umgeben von süßen Kindern

Während die Schüler um vier anfingen, die Schule zu putzen, schlug er uns vor, ein wenig die Gegend anzuschauen, und stellte uns zwei Schülerinnen zur Seite, die uns alles zeigen sollten. So liefen wir hinaus und erstmal durch das kleine „Dorf“ oberhalb der Schule. Danach stiegen wir wieder zur Straße hinunter und liefen zu einer Stromschnelle im Fluss, die wirklich ziemlich cool war. Als wir gerade wieder am Fuß des Hanges standen, kam das Gemüseauto zurück.

Blick von oben auf die Schule

Blick von oben auf die Schule

An der Stromschnelle

An der Stromschnelle

Blick zurück auf die Schule

Die Grundschule von Longyuan liegt idyllisch inmitten grüner Berge – die verhindern wiederum jeglichen Handyempfang

Mittlerweile war es schon fünf und wir machten uns etwas Sorgen, weil die anderen ja nicht wussten, wo genau wir waren (wir hatten uns für sechs Uhr angemeldet). Aber die Fahrer wollten sich etwas ausruhen und an der Schule hatte man uns auch zum Essen eingeladen, daher kletterten wir gemeinsam wieder hoch. Nun wurde erstmal Bier herangeschafft (kleine Kinder mit Bierflaschen… seltsames Bild), dann gab es ein leckeres Essen mit Fischsuppe, Fleisch und 竹叶菜, einem Gemüse von den Schneebergen. Der Lehrer war beim Essen nicht dabei, er kam später dazu, als der Abendunterricht vorbei war. „Hallo Schulleiter!“meinte die Gemüsefrau und wir dachten uns nur „Oh!“ So jung hatten wir uns den Schulleiter nicht vorgestellt… Also stießen wir mit ihm an, unterhielten uns noch eine Weile, bevor wir dann doch zum Aufbruch drängten. Der Schulleiter, die Lehrer und die ganze Kinderschar brachten uns zum Ausgang, luden uns ein, bald wiederzukommen (bzw. sagten, wir sollten noch nicht gehen) und gaben uns einen sehr herzlichen Abschied. Wir rutschten den Staubhang hinunter und fuhren dann wieder los. Sobald unsere Handys wieder Empfang hatten, riefen wir bei den anderen an… sie hatten zum Glück nicht mit dem Essen auf uns gewartet.

Insgesamt brauchten wir für die Rückfahrt ca. eine Stunde (im Vergleich zu drei Stunden auf der Hinfahrt), dank nur einer Verkaufspause. Die Gemüsefrau erzählte uns noch, dass ihr Sohn am Tag zuvor mit neuer Kleidung heimgekommen war, die ihm die Ausländer geschenkt hatten. Als wir wieder zurück in Kongdang waren, wollten der Fahrer und sie partout kein Geld von uns annehmen, also verabschiedeten wir uns schließlich dankend und gingen die anderen suchen. Die waren mit Miss Li an der Promenade, später gingen wir dann gemeinsam wieder in Miss Lis Wohnung, wo wir die Fotos vom Vortag ansahen und austauschten und bis spät plauderten.

Neben ganz vielen Bildern, der Handynummer des Schulleiters und der Erinnerung an einen der verrücktesten Tage hier in China fürchteten wir, noch ein anderes krabbeliges Mitbringsel von diesem Ausflug mitgenommen zu haben… daher machten wir, sobald wir wieder zu Hause waren eine Entlausungsaktion mit Goldgeist forte und ähnlichen, wunderbar duftenden Mitteln (96%Ethanol… mmhh). Naja, wir haben dabei jedenfalls nichts gefunden und bis jetzt juckt es noch niemanden.. also ist wahrscheinlich alles nochmal gut gegangen!

2 Responses so far.

  1. Robert sagt:

    Ein sehr informativer Bericht und tolle Bilder! Wenn Ihr auf späteren Bildern eine schicke Kurzhaarfrisur habt, dann ist das sicher nicht nur aus modischen Gründen 🙂

  2. Lynn sagt:

    好充實的一天呀!

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