Die erste Woche in Gongshan

Nun sind wir seit einer Woche in unserem neuen Zuhause, der Stadt Cì Kai im Kreis Gongshan, angekommen, und es hat sich schon so viel ereignet, dass ich meine Finger wund und die Tastatur kaputt schreiben müsste, um alles zu erzählen. Zu ihrem Wohle und zu dem der Augen des Bloglesers will ich versuchen, mich kurz zu fassen, und nur das Wichtigste, Interessanteste und Spannendste widerzugeben:

Einladungen & Erledigungen

Gleich nach unserer Ankunft wurden wir zu einem großen Willkommensessen eingeladen, bei dem der Vizedirektor des hiesigen Bildungsministeriums, unser Schulleiter Mr. Yú und die Vizeschulleiterin der Yi Zhong (Franzis und Helens Schule) sowie einige Lehrer mit uns auf eine gute Zusammenarbeit anstießen. Dann wurden wir in unsere vorläufigen Wohnungen gebracht, zwei sehr hübsche Appartements mit je zwei Schlafzimmern, Wohnzimmer und Bad, die in einem Gebäude neben der Grundschule liegen. Wir werden jedoch alle noch einmal umziehen, Franzi und Helen an die Yi Zhong (was gut ist, denn auf Dauer wird die Kletterei auf den Berg, wo die Schule liegt, etwas anstrengend) und Nadja und ich in irgendeine andere Unterkunft auf dem Schulgelände. Dort werden wir hoffentlich auch Internet in unser eigenes Zimmer bekommen oder legen lassen können, denn bisher müssen wir dazu jedes Mal Mr. Zhaos Anschluss in seiner Wohnung nutzen. Noch am ersten Abend lernten wir Ms. Yang kennen, eine junge Englischlehrerin von der Yi Zhong, die mit uns für einige Erledigungen in die Stadt ging. So kauften wir gleich SIM-Karten für unsere Handys, mit denen wir jedoch nicht ins Ausland telefonieren können (aber wir können angerufen werden). Bei Gelegenheit werden wir uns wohl noch passende chinesische Handys zulegen, denn chinesische SMS erscheinen bei uns wahlweise als Ansammlung von Kästchen oder Punkten, was beides nicht gerade praktisch ist.

Unsere vorläufige Wohnung

Unsere vorläufige Wohnung

Verkehrstechnisch gesehen ist Gongshan (so wird der Ort Ci Kai meistens genannt, da es keine anderen Städte in Gongshan gibt) ein einziger großer Kreisverkehr, denn die wichtigste Straße schlängelt sich als Einbahnstraße am Berghang entlang, kehrt wieder um und beißt sich selbst in den Schwanz. Alle wichtigen Geschäfte und Gebäude liegen mehr oder weniger an dieser Straße und so kam es, dass wir sie am zweiten Tag schon praktisch einmal abgelaufen hatten. Denn an diesem Tag meldeten wir uns pflichtbewusst mit Mr. Zhaos Hilfe in der Polizeistation an, die im tieferen Teil des Kreisels liegt, bevor wir wieder hochliefen, um uns Bankkonten bei der ABC, der Agricultural Bank of China, zu besorgen. Gratis dazu gab‘s für Helen und Franzi chinesische Namen, die sie nach fleißigem Üben mittlerweile schon selbst schreiben können.

Außerdem konnten Nadja und ich an diesem Tag einen ersten Blick auf die Yi Zhong werfen, dazu muss man entweder den Kopf seeehr weit in den Nacken legen, oder die steile Zufahrtsstraße hochklettern.  Da Franzi und Helen noch ein paar ihrer Sachen von dort holen mussten, die in etwas kahlen Zimmern auf den baldigen Umzug in ein womöglich noch nicht einmal fertiggebautes Wohnheim warten, entschieden wir uns für Letzteres. Abends aßen wir zum ersten Mal in der gemütlichen kleinen Lehrerkantine der Grundschule, wo Nadja und ich außer in den Ferien immer mittags und abends versorgt werden. Dann zeigte Mr. Zhao uns in einem Rundgang die Schulgebäude, die Schlafräume der Schüler, die Schweineställe, die Schülerkantine und eine Art Jugendhaus, das nach seiner Fertigstellung u.a. eine Bibliothek und Räume für verschiedenste Aktivitäten enthalten soll.

 

Julians Besuch…

…erreichte uns am Freitag kurz nach seiner auf Chinesisch geschriebenen und aus oben beschriebenen Gründen recht unleserlichen SMS. Er brachte uns nicht nur die Kunde, dass die Fugong-Freiwilligen wohlauf seien, sondern half uns bis zu seiner Abreise gestern auf vielerlei Weise beim Einleben in unser neues Zuhause. So zeigte er uns den „Strand“ von Gongshan, wo wir einen sehr entspannten Nachmittag mit Baumhaus-Sandburgen-Bauen und Bagger auf der anderen Flusseite beobachten verbrachten. Auch die Minderheitentanzbar lernten wir kennen, wo man Kreistänze der tibetischen Zang-Minderheit lernen und beobachten kann, sich als Ausländerin allerdings vor dem Anstoßen mit Einheimischen kaum noch retten kann.

Außerdem machten wir über Julian Bekanntschaft mit Jiang Da, dem Freund einer ehemaligen Freiwilligen, und seinem Kumpel, der beim Gesundheitsministerium arbeitet. Beide luden uns zum Essen ein und gaben uns ihre Handynummern mit der Aufforderung, sie anzurufen, wann immer wir ihre Hilfe für irgendetwas brauchen.

Teachers‘ Day

Der Teachers‘ Day, Lehrertag oder Jiao Ri Jie war am Montag, wurde Sonntagabend mit der Teachers‘ Day Party eingeleitet und begann für uns bereits am Donnerstag mit Proben zu einer Tanzchoreographie, die einige Grundschullehrerinnen bei der Party aufführen wollten. Die Lehrerinnen hatten den Tanz erst zwei Tage zuvor gelernt und luden uns herzlich ein, mitzumachen, also sahen wir ihnen erst einmal zu und wurden dann in die letzte Reihe gestellt, um es auch zu lernen. Nach einem ersten etwas chaotischen Durchgang zeigte uns die Kunstlehrerin die einzelnen Schritte, bevor wir am gleichen Abend und freitags nochmal gemeinsam probten. Manche Teile waren echt knifflig, aber es machte großen Spaß, sich mal wieder richtig zu bewegen und wir trösteten uns mit dem Gedanken, dass man uns in ganz hinten sowieso nicht so genau sehen würde. Falsch gedacht! Denn als wir Sonntagmorgens zur Generalprobe in die Veranstaltungshalle kamen (eigentlich war es keine Halle, eher ein überdachter großer Sportplatz mit Tribünen und einer Bühne) wurde uns eröffnet, dass wir uns beim ersten Teil unseres Tanzes auf einer Art zusätzlichem Podest hinten auf der Bühne befinden würden, wunderbar zu sehen aus dem gesamten Zuschauerraum. Zum Glück waren wir mittlerweile etwas sicherer in unserer Hand-Fuß-Koordination, sodass wir uns einigermaßen auf den Abend freuen konnten. Pünktlich kamen wir wieder an, alle in Jeans, weißem T-Shirt mit einem roten Herzchenbaum drauf (hatten wir ausgeteilt bekommen) und mit Pferdeschwanz (alle außer Franzi^^). Zunächst sahen wir kein bekanntes Gesicht, dann kamen jedoch Ms. Yang und zwei andere junge Englischlehrerinnen von der Yi Zhong, mit denen wir uns hinsetzten und uns unterhielten, während wir auf den Beginn der Zeremonie warteten. Dieser wurde dann von einem Lehrerchor eingeleitet, bevor zwei Moderatoren mit salbungsvollen Worten den Lehrer und seinen aufopferungsvollen Dienst an der Jugend lobten. Es folgte eine Aufführung von Grundschülern, die sehr sehr süß war, dann weitere Ansprachen, traditionelle Tänze in Trachten von Lisu und Zang-Minderheit, moderne Tänze, etc. und dann waren wir dran, quasi als krönender Abschluss. Die ersten Takte erklangen, wir hüpften auf die Bühne und zuckten erst mal zusammen, als sich links und rechts zwei Konfettikanonen donnernd entluden und uns über und über mit Glitzerzeugs beregneten. Der Tanz selbst lief ziemlich gut und wir bekamen auch ordentlich Applaus, als wir am Ende alle noch auf der Bühne standen und die erste Reihe die Hände aller Ehrengäste schütteln durfte. Die kleine Tochter eines Lehrers meinte danach zu uns: „老师,你们太棒了!“ („Lehrer, ihr seid zu toll!!“). Nach einem letzten Gruppenfoto gingen wir Deutschen dann mit Jiang Da Barbecue essen (s.o.).

Tänzerinnen mit traditionellen Kleidern der tibetischen Zang-Minderheit

Tänzerinnen mit traditionellen Kleidern der tibetischen Zang-Minderheit am Teachers‘ Day

Der eigentliche Teachers‘ Day wurde dann am Montag mit einem „Picknick“ an einer Außenstelle der Wan Xiao (unserer Grundschule) gefeiert, zu dem wir nach einer Essenseinladung mit Mr. Zhaos Kollegen gefahren wurden. Unter einem Dach gab es hier jede Menge Knabbersachen (Erdnüsse, Sonnenblumenkerne, Esskastanien, Wassermelonen) und Getränke (Tee, Sprite, jede Menge Bier und Schnaps). Wir probierten eine Spezialität der Lisu, Hühnchen in Schnaps, was eigentlich nur nach Alkohol schmeckte. Außerdem spielten wir Karten und wurden von ein paar Lehrern zu Trinkspielen eingeladen. Immer wieder kamen außerdem Lehrer und Lehrerinnen vorbei, die unbedingt mit uns anstoßen wollten und uns sagten, dass wir aussehen wie Barbiepuppen :D. Wieder einmal zeigte sich, was wir uns anfangs kaum vorstellen konnten: wie viel Alkohol die Leute hier trinken und wie sie einen immer wieder dazu drängen, mitzutrinken. Mittlerweile haben wir gelernt, immer nur am Bier zu nippen und Aufforderungen zum Gan Bei – also auf Ex trinken – nicht nachzukommen, so ist das Ganze einigermaßen erträglich. Nadja entkommt dem Ganzen als einzige, da sie von Anfang an keinen Alkohol getrunken hat und dies auch immer sagt.

Teachers' Day Picknick mit Julian (Mitte) und Mr. Zhao (rechts)

Teachers‘ Day Picknick mit Julian (Mitte) und Mr. Zhao (rechts)

Gegen Abend gab es dann noch Essen, u.a. jede Menge Ziegenfleisch und -innereien, dann liefen wir zurück.

Eine weitere Auswirkung des Teachers‘ Days war, dass die Grundschüler bis Donnerstag noch frei haben und die Minderheitenkinder in ihre Dörfer zurückkehren können. Daher haben Nadja und ich an unserer Schule auch noch nichts zu tun und können etwas bei Franzi und Helen mithelfen.

 

Head, Shoulders, Knees and Toes… Unterrichten in China

Einen ersten Eindruck vom Englischunterricht in China bekamen wir am Freitag, als wir mit Ms. Xiong, unserer Englischlehrerin, in zwei Klassen gingen. Die Viertklässler in der ersten Stunde waren zum Teil außer sich vor Freude, als wir in ihr Klassenzimmer kamen, sie umringten uns, stellten uns neugierig Fragen auf Chinesisch und baten uns, unsere Namen in ihre Hefte zu schreiben. Erst beim Läuten kehrten sie schnell auf ihre Plätze zurück.

Nadja und ich stellten uns nun zunächst auf Englisch, dann auf Chinesisch vor, anschließend setzten wir uns auf die zwergenhafte Schulbank und versuchten, die Aufmerksamkeit der Schüler so wenig wie möglich auf uns zu ziehen. Die erste Aufgabe war eine Gruppenarbeit – die Kinder sollten sich gegenseitig den Inhalt ihrer Schultasche vorstellen und damit gelernte Vokabeln üben. Danach spielte Ms. Xiong mit ihnen ein Spiel, bei dem die Schüler rhythmisch kurze Sätze nachsprechen (z.B. „This is my sharpener! This is my sharpener“) und das passende Teil präsentieren sollten. Im zweiten Teil der Stunde ging es um Bestandteile des Klassenraums und was man damit machen kann (z.B. clean the window, sweep the floor…).

Als nächstes begleiteten wir Ms. Xiong in eine dritte Klasse, wo wir auch zunächst einmal gelöchert wurden. Besonders begeistert waren die Kleinen von Nadjas blauen Augen und der Vorstellung, dass es in Deutschland auch grünäugige Menschen gibt. Nach dem Läuten ging es ans Lernen, und zwar erstmal die Namen und Gesichter von ihren neun neuen „friends“, die die Kinder durch die Schulbücher begleiten. Dazu wurde ein kleines Lied gesungen und danach lernten die Schüler zu sagen: „Hello! I’m…“ und „Hi! My name is…“. Wir waren uns nicht ganz sicher, ob alle das verstanden hatten, aber schon war Mittagessenzeit gekommen, wozu die Kinder nach Hause gehen durften.

Da an unserer Schule wegen Teachers‘ Day noch kein Unterricht stattfand, gingen wir am Dienstag an die Yi Zhong, um Franzi und Helen, die schon eigene Klassen haben, zu helfen. Anscheinend herrscht an der Schule gerade Lehrermangel und erst in zwei Wochen werden neue Lehrer kommen, so lange sind Helen und Franzi alleine verantwortlich für je zwei Klassen. Ich begleitete zunächst Franzi in ihre siebte Klasse. Die Kinder dort waren ziemlich schüchtern, konnten aber schon einigermaßen „I’m…“ flüstern und die ersten Buchstaben des ABC malen. Wer denkt, dass die Schüchternheit mit dem Älterwerden abnimmt, täuscht sich allerdings, denn Helens Neuntklässler waren noch viel zurückhaltender und stiller. Sie trauten sich noch weniger, irgendetwas außer bloßem Nachsprechen mit der gesamten Klasse zu sagen. Erst als wir ihnen am Mittwochmorgen das Lied „Head, shoulders, knees and toes“ beibrachten, tauten sie auf und sangen vorsichtig mit. Und als wir ihnen dann die Bewegungen zeigten und es immer schneller sangen, lachte die ganze Klasse und bemühte sich eifrig, hinterherzukommen. Das hieß zwar nicht, dass sie danach im Unterricht besser mitarbeiteten, aber vielleicht trauen sie sich mit der Zeit mehr. Franzis achte Klasse war hingegen eine positive Überraschung: sie konnten schon ziemlich gut sprechen, trauten sich vor allem auch, etwas zu sagen und ein paar Fragen zu stellen, waren unglaublich neugierig und sehr süß. Da sie in einer Unit gerade die Körperteile gelernt hatten, passte „Head, shoulders, knees and toes“ natürlich perfekt dazu und kam auch sehr gut an.

Alles in allem kann man bisher sagen, dass die Englischbücher eigentlich gar nicht so schlecht sind, jedenfalls auch Hörverstehen, Partnerarbeiten, Spiele etc. beinhalten, dass aber die Schüler ziemlich wenig zu verstehen scheinen. Vielleicht sind sie bisher auch nur zu schüchtern, aber ganze Sätze können sie kaum bilden, z.B. bestehen ihre Antworten höchstens aus einzelnen Wörtern. Was sie gut können, ist im Chor nachsprechen, was der Lehrer vorliest, aber wie viel dabei bei ihnen hängen bleibt, ist fraglich.

One Response so far.

  1. Robert sagt:

    Hallo Nina, Danke für den ausführlichen Bericht. Ich sehe, ihr habt beim Thema Alkohol schon ein gutes Mass gefunden. Die Grundschüler scheinen Euch ja eher als große Schwestern zu sehen. Ich bin ja gespannt, wie es mit dem Unterricht weitergeht.
    PS: Der Datumszähler bei Eurem Blog scheint nicht zu funktionieren, deshalb am besten (wie Nadja es gemacht hat) das Datum am Anfang des Haupttexts wiederholen.

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